Der Tag, an dem ich dem Dalai Lama die Hand schüttelte – und warum auch ein Blick, ein Gruß oder eine Frage Wertschätzung ausdrücken.

#dltibetinitiative

Foto: Birgit Schulze
Foto: Birgit Schulze

Zufällig oder vorbestimmt (?!) begegnete ich am 20.09.2018 dem Dalai Lama, als er aus einem Darmstädter Hotel auscheckte. Natürlich lief er nicht einfach so heraus. Der Platz vor dem Hotel war weiträumig abgesperrt, ein paar Polizei Mannschaftswagen, KRAD Staffel und jede Menge Security in Zivil. Allerdings so gut wie keine Passanten.

Ich war gerade auf dem Weg ins Büro und fuhr dort, wie üblich vorbei. Tags zuvor gab es ein Podiumsdiskussion zum Thema „Gewaltlosigkeit ist der Weg“ mit seiner Heiligkeit, den Friedensnobelpreistragenden Rebecca Johnson (ICAN) Lech Walesa und der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth.

 

Leider bekam ich dafür im Vorfeld keine Karten und hatte akzeptiert, dass ich den Dalai Lama wohl nicht sehen würde. Lange Rede kurzer Sinn, ich blieb stehen und hoffte wenigstens einen Blick auf ihn werfen zu können. Es dauerte einen Moment, doch schließlich kam er aus dem Hotel.

 

Und tatsächlich – ich hatte es schon so oft gehört und gelesen, er begrüßte jeden. Einzeln. Die Polizisten, die Security und uns, die wir da mehr oder weniger fast alle zufällig vorbeikamen. Nein, ein Selfie habe ich mich nicht getraut zu machen und ich genoss einfach den Moment, ihm die Hand zu geben.

Präsent sein, heisst auch: Wahrnehmen  W E R  da ist.

Mich hat diese gesamte Situation sehr bewegt. Da kommt dieses vielbeschäftigte Oberhaupt der Buddhisten nach Darmstadt, diskutiert mit zwei Friedens-Nobel-Preistragenden über Gewaltlosigkeit als Weg und hat trotzdem einen Blick für die einzelne Person.

 

Er begrüßte jeden mit Handschlag, führte kurze Gespräche mit den Leuten, machte seine Scherze, genoss es vielleicht auch oder auch nicht. Klar ein Profi. Aber, und das hat mich am meisten beeindruckt: er hatte auch einen Blick für die, die abseitsstanden. Er widmete sich diesen Menschen ganz bewusst, grüßte, winkte oder stellte kurze Fragen. Er sah diese Menschen, nahm sie wahr und ging in Kontakt. „Vielleicht kann ihm keiner entkommen/entgehen.“ Im positiven Sinne natürlich. Das war die Erkenntnis, die ich gestern hatte.

Menschen wollen gesehen werden.

Als Person, als Gruppe, mit dem was sie machen. Auch als Individuen brauchen wir Gemeinschaft, um zu überleben. Heute geht es dabei vielleicht nicht mehr so sehr um das körperliche Überleben, als vielmehr um das seelische.

 

Gesehen werden ist ein Bedürfnis. In der Gewaltfreien Kommunikation gehen wir davon aus, dass alle Menschen die selben Bedürfnisse haben. Erfülle ich mir diese dauerhaft nicht oder werden diese Dauerhaft nicht erfüllt, kommt es zu Spannungsmomenten und Konflikten.

Gesehen werden ist ein Ausdruck von Wertschätzung.

Wertschätzung ist ebenfalls ein Bedürfnis, dass erfüllt werden will. Über die persönliche Ebene hinaus. Gruppen, Gemeinschaften, Systeme, Unternehmen haben Bedürfnisse. Und auch hier gilt dieser Grundsatz.

 

Werden Bedürfnisse dauerhaft in Gruppen nicht erfüllt, kommt es dort zu Spannungen und Konflikten.

 

Und was haben den jetzt unerfüllte Bedürfnisse, Händeschütteln, der Dalai Lama und ich mit der ganzen Sache zu tun? Warum beschäftigte, freute und beeindruckte es mich dermaßen, diesem Menschen zu begegnen? Klar! Es ist die Bodenständigkeit, die seine Holiness mitbringt. Aber – und das ist für mich die Erkenntnis überhaupt aus dieser kurzen Begegnung:

 

Alle die da sind, wahrzunehmen, mit einem kurzen Händedruck zu begrüßen, auch die, die in der zweiten oder dritten Reihe stehen zu sehen, anzusprechen, wahrzunehmen.

 

Es gibt Menschen, die, wenn sie nicht gesehen werden, dazu neigen auf unterschiedliche Weise auf sich aufmerksam zu machen. Sie reden vielleicht etwas lauter, als es angenehm ist, ziehen sich besonders auffällig an, fahren große Autos, tragen verrückte Frisuren, bringen Unruhe in deinen Alltag, haben in Meetings immer das letzte Wort, sabotieren getroffene Entscheidungen, wissen sowieso alles besser, haben die Wahrheit für sich gepachtet, kommen zu spät zu Terminen, … Du kannst diese Liste für dich sicherlich fortsetzen.

 

Mein Bestreben ist es, dass Menschen zufrieden ins Büro gehen. Zufrieden bin ich dann, wenn meine Bedürfnisse erfüllt sind. Wenn ich gut mit mir und meinem Umfeld verbunden bin. Persönlich und auch bezogen auf das System, in dem ich mich bewege.

Wirf doch mal einen Blick auf dein System, in dem du arbeitest. Deine Abteilung oder deinen Bereich. Wie verbunden seid ihr? Werdet ihr gesehen, wahrgenommen von anderen Abteilungen? Oder steht deine Abteilung aus deiner Sicht in der zweiten, dritten Reihe? Von welchem Bereich, welcher Abteilung willst du/wollt ihr gesehen werden? Welche andere Abteilung siehst du aus deiner Perspektive nicht? 

Mach es wie der Dalai Lama

Drehe dich 360 Grad um dich und dein System und nimm die wahr, die um dich herum arbeiten. Wen gibt es da noch?

 

Du arbeitest vielleicht im Vertrieb. Dann siehst du mit großer Wahrscheinlichkeit das Marketing. Und die Geschäftsführung. Dann gibt es da wahrscheinlich noch die Produktion, Werkstatt, Montage, den Einkauf, die Perso – neudeutsch HR, die IT, Kundenbetreuung, Backoffice, Support, … Ja und dann sind da noch outgesourcte Bereiche – Raumpflege, Catering, Gärtnerin, Pförtner/Empfang, Helpdesk, freie Mitarbeitende, …

 

Alle diese Abteilungen und Menschen sind Teil des Systems, in dem du arbeitest. Und jeder trägt seinen Teil zum Gelingen des Großen und Ganzen bei. Und deshalb sind alle wichtig. Auch, wenn es Abteilungen gibt, die nur indirekt zum Erreichen von Vertriebszielen beitragen.

 

Klar kannst du sagen, dass die Reinemachefrau nix mit deinen Umsatzzahlen zu tun hat. Hat sie aber vielleicht doch: Du setzt dich morgens an einen Schreibtisch, auf dem die Kaffeeränder von gestern verschwunden sind, der Mülleimer ist geleert, Keine große Sache? Vielleicht, gesehen werden darf sie trotzdem.

Kleine Geste - große Wirkung

Ich habe im letzten Jahr ein schnell wachsendes agil aufgestelltes IT Unternehmen beratend begleitet und wurde zur Weihnachtsfeier eingeladen. Och, denkst du jetzt vielleicht, ist doch nicht so ein großes Ding. Ich fand das super, denn es zeigte, obwohl ich als Beraterin nur wenige Stunden monatlich vor Ort war, wurde ich als Teil des Systems gesehen. Und das nahm ich war. Und ich freute mich darüber.

 

Gleichzeitig war ich in einem Technologie- und Pharmaunternehmen, als Freelancer im Bereich IT Change Kommunikation tätig. Dort erhielt ich keine Einladung zur Weihnachtsfeier. Und die vielen anderen „Freien“ auch nicht. Interessant für mich als Wirtschaftsmediatorin ist die Erkenntnis, das die Nicht-Einladung etwas mit den Kolleginnen machte. Es wurde zur Kenntnis genommen und der Unmut und die Irritation darüber, war spürbar. Das schlägt auf Dauer auch auf die Motivation.

 

Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine Geste der Wertschätzung gewesen wäre, eine Einladung auszusprechen. Wir haben uns natürlich im kleinen Team getroffen, auch weil es den Teamleiterinnen peinlich war, dass ein großes Unternehmen so mit Menschen umgeht, die – auch wenn es „Freie“ sind, trotzdem einen wertvollen Beitrag zum Gelingen des Unternehmens oder Bereichs beitragen.

Wertschätzung, Gesehen werden = Gemeinschaft

Menschen wie Systeme oder Gemeinschaften haben Bedürfnisse. Die Bedürfnisse unterscheiden sich nicht. Wertschätzung und Gesehen werden sind zwei davon, die meiner Erfahrung nach in Firmen und Organisationen oft im Mangel sind. 

 

Ich will offen sein. Nicht der Dalai Lama, deine Führungskraft oder sonst eine herausragende Persönlichkeit ist zur Erfüllung deines Bedürfnisses nach Wertschätzung und Gesehen werden verantwortlich. 

 

Du trägst diese Verantwortung ebenso. Für dich. Und für das System, in dem du dich bewegst. 

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