Vom bewussten Umgang mit Trauer, Abschied und Schmerz

Eine Freundin von mir ist vor einigen Wochen gestorben. Und darüber bin ich sehr traurig. Und gleichzeitig stelle ich fest, dass es in meinem Alltag keine soooo große Rolle spielt. Und trotzdem fehlt sie mir und ich bin sehr traurig darüber.

 

Seitdem beschäftigt mich das Thema Tod, Abschied, Weggehen auf verschiedenen Ebenen. Sie starb nicht unerwartet, denn sie war schwer krank. Und trotzdem starb sie irgendwie plötzlich.

 

Marhall Rosenberg sagte, es gebe nur zwei Zustände, in denen wir uns bewegen.

Feiern und Bedauern (Trauern). Gewaltfreiheit bedeutet für mich, mir diese beiden Zustände wieder und wieder bewusst zumachen. Sind meine Bedürfnisse erfüllt, gibt es etwas zu feiern. Sind sie nicht erfüllt, dann kann ich diesen Zustand bedauern.

 

Stirbt eine nahestehende Person, dann sind wir traurig. Und werden überrollt von diesem Gefühl. Für mich ist dieser Zustand verbunden mit Schwere, Enttäuschung, Angst, Ohnmacht und Demut. Allein sein. Zurückbleiben. Verlassen sein. Auf mich alleine zurück geworfen zu sein. Da ist einerseits die tiefe Traurigkeit darüber, dass dieser Mensch unwiederbringlich weg ist – und andererseits weiß ich, ich brauche jetzt Kraft und Energie, mich neu auszurichten. Denn so platt es klingt: mein Leben geht weiter.

 

Ja, es wird immer wieder Momente geben, in denen ich liebend gerne mit ihr sprechen will, mich mit ihr austauschen,

sie um Rat fragen. Und ihre einzigartige Sichtweise auf die Welt brauche. Denn da war eine tiefe Verbundenheit, eine Nähe und ein bedingungsloses Annehmen meiner Person. Sie fehlt halt. 

 

Ich darf und kann mich neu ausrichten.

Gerald Hüther sagt, wir Menschen haben zwei Bedürfnisse, die sich bedingen. Das Bedürfnis nach Verbundenheit – als Basis für das Bedürfnis nach Entwicklung. (Was wir sind und was wir sein könnten - Ein neurobiologischer Mutmacher, Fischer Taschenbuchverlag, 2013) Wenn ich gut verbunden bin, dann bin ich sicher und fest und voller Vertrauen. Und von dieser Basis aus kann ich mich entwickeln. Nach Neuem streben, meiner Neugier nachgehen.

 

Ähnlich wie ein Baum. Wenn der gut verwurzelt ist, dann kann er wachsen. Klar braucht er noch mehr, Wasser, Nährstoffe und Sonne. Und trotzdem braucht er Wurzeln und Halt, damit er in die Höhe und Breite wachsen kann. Wenn der Raum da ist.

 

Stirbt eine Person oder verlässt sie mich, dann ist da zunächst Trennung - also keine Verbindung. Und die Neuausrichtung, also die Entwicklung, fällt mir schwer, weil ich gerade eben nicht gefestigt bin. Denn ich habe mir diese Trennung nicht selbst gewählt. Da wurde eine meiner Wurzeln gekappt. Und ich stehe etwas wackelig da. Und gleichzeitig macht ihr Tod Platz. Für Neues, für andere Menschen, andere Sichtweisen. Ich darf und kann mich neu ausrichten.

 

Vielleicht ist Trauer daher auch für viele von uns so bedrohlich, weil wir erkennen, dass Menschen doch irgendwie ersetzbar oder austauschbar sind?

Verlässt uns ein geliebter Mensch, dann ist das sicherlich ein Moment des Innehaltens und Trauerns. Für mich bedeutet es: Ich werde ihre Stimme nicht mehr hören, nicht mehr mit ihr gemeinsam lachen, wichtige Themen kann ich mit ihr nicht mehr besprechen.

 

Und trotzdem suche ich mir - bewusst oder unbewusst - andere Menschen, mit denen ich dann in Verbindung gehe. Weil ich mich als soziales Wesen verstehe. Und für mein Wohlbefinden in Beziehung zu anderen Menschen stehen will. Wohlwissend, dass diese Beziehung nicht die selbe Beziehung sein kann, wie die zu meiner verstorbenen Freundin.  Und deshalb ist sie eben nicht ersetzbar oder austauschbar. 

 

Es gibt und gab in meinem Leben viele kleine Tode, die ich nicht immer aktiv betrauert habe. Mit „kleine Tode“, meine ich Menschen, die sich aus meinem Leben „gestohlen“ haben. Die einfach irgendwie aus meinem Leben verschwunden sind. Und die mich zurückgelassen haben. Mich nicht gefragt haben.

 

Manchmal habe ich erst Jahre später gemerkt, dass ich darüber eigentlich traurig war. Aber das konnte ich so überhaupt nicht formulieren oder annehmen.

 

Ich bin damit anders, abwertend und aus heutiger Sicht sehr egoistisch umgegangen. Bei diesen Abschieden habe ich nicht getrauert. Ich war sauer auf die Person. War wütend, ärgerlich, frustriert - denn ich blieb ja zurück. Ungefragt. Und das habe ich diesen Menschen übelgenommen. Mit meiner Trauer war ich nicht verbunden. Sondern mit meinen Urteilen,  Bewertungen, Analysen und Interpretationen über die Person und meine so bemitleidenswerte Situation.

 

Eine Projektleiterin erzählte mir neulich, dass ein Projekt-Team-Mitglied gekündigt habe. Und das sei hart für sie, denn es gebe im Unternehmen keine Person, die diese Aufgabe übernehmen könne. Sie war richtig wütend darüber, dass der Kollege so plötzlich und ohne Ankündigung gekündigt hat. Denn schließlich lasse er sie und das Team zurück, gefährde durch die Kündigung das Projekt.

 

Ähnlich wie beim Tod meiner Freundin, war die Kündigung bei dem Kollegen absehbar. Und kam dennoch ganz plötzlich. Denn er ist nicht der erste, der das Unternehmen verlässt und wird sicherlich auch nicht der letzte sein. Vielleicht war nicht klar, dass genau diese Person geht. Aber in einem Unternehmen gehen und kommen Menschen. Das ist eigentlich der Alltag. Und es wäre hilfreich und schön, dieses Kommen und Gehen aktiv mitzudenken. Mit allem, was dazu gehört. 

 

Der Alltag läuft. Wir haben unsere Routine. Und an die klammern wir uns. Ich mich auch. Und auf einmal passiert etwas, das die Routine stört. Irgendwas, das das ganze Gefüge ins Wanken bringt. Eine Person geht weg. Eine neue kommt hinzu. Ein ständiges Kommen und Gehen. Nichts ist so verlässlich wie die Veränderung – und ohne Veränderung gäbe es sicherlich auch keine Entwicklung. Und wir lebten immer noch in der Steinzeit. Glücklich und Zufrieden? Ich bin nicht sicher. Denn wenn sich nix verändert, dann ändert sich nix. 

 

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
(Auszug aus Hermann Hesses „Stufen“)

 

Veränderung ist mit der Verabschiedung von Routine verbunden. Und dann kannst du meckern, dich ärgern oder schmollen. Tu das und nimm dadurch Kontakt mit deiner Trauer auf.

 

Warum reagieren wir dann oft so verletzt auf Veränderungen?

Weil wir sie nicht immer aktiv beeinflussen können. Und weil wir nicht Bestandteil des Prozesses waren, der zur Veränderung führte. Es heißt nicht, dass es leicht ist, sich auf Neues einzulassen. Routinen erleichtern unseren Alltag. Und vielleicht reagieren wir deshalb oft wütend, ärgerlich oder sauer, weil die Routine weg ist und es für einen Moment schwieriger und anstrengender wird. Und weil wir die Veränderung nicht immer selbst herbeiführen.

 

Bei der Projektleiterin und ihrem Team-Mitglied war es so. Sie wusste nichts von den Bestrebungen ihres Kollegen, das Unternehmen zu verlassen. Sie bekam nicht mit, dass er sich bewarb, Vorstellungsgespräche führte und schließlich bei einem anderen Unternehmen einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieb. Erst als er ihr sagte, dass er zum Tag X gekündigt habe, begann für sie der Prozess der Veränderung.

Und jetzt erst kann sie sich darauf einstellen. Dass diese Situation für sie bedrohlich ist, hindert sie daran mit ihrer Trauer dazu in Kontakt zu gehen. Denn die Kündigung löst Stress bei ihr aus. Und bei Stress reagieren wir bekanntlich mit Kampf, Fluchtverhalten oder Tod-Stellen. Alles hilfreiche Verhaltensmuster, wenn es um das Überleben in der Wildnis geht. Das Büro ist jedoch ein anderer Ort. Da darf es ruhig ein bisschen überlegter zugehen. Aber bitte, bitte nicht ohne Gefühle. Denn die kannst du eh nicht unterdrücken. Denn du hast Gefühle und das ist gut so. 

 

Betrauere aktiv die kleinen und großen Verluste deines Lebens.

Gefühle und Überlegung sind übrigens kein Widerspruch. Nimm dir Zeit fürs Trauern und Bedauern. Auch im Büro. Und

trauere so, wie du denkst, dass es für dich gut ist. Schau, was dir fehlt, warum es für dich schmerzhaft ist, wenn eine Person aus deinem Leben verschwindet.

 

Gönn dir aktive Momente des Trauerns. Damit du bewusst mit dir und deinen Gefühlen umgehst und nicht irgendwann von ihnen überrollt wirst. Übrigens kannst du dir dafür auch Routinen erschaffen. Deine persönliche Trauerroutinen. Nimm dir aktiv Zeit und Raum zum Trauern. Nicht nur dann, wenn eine dir nahestehende Person gestorben ist. Schau hin, wo schon

wieder mal ein Abschied statt gefunden hat in deinem Leben. Warum bist du darüber traurig, was fehlt dir. Und lass die Trauer zu. Betrauere/bedauere aktiv die kleinen und großen Verluste deines Lebens.

 

Hinterlasse mir gerne einen Kommentar und sage mir und meinen Leserinnen, wie es dir mit diesem Beitrag geht. Dankeschön.

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