So kommst du deinen Reaktionsmustern auf die Spur

Wer glaubst du entscheidet über deine Gefühle?

Bildquelle: pixabay/coloringcuties
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Vor einiger Zeit fand mein Workshop „Auf 180! Sicherer Umgang mit starken Gefühlen“ statt. Der Fokus lag für die Teilnehmenden darauf, wie sie mit ihren persönlichen starken Gefühlen so umgehen können, dass sie handlungsfähig bleiben oder ihre

Handlungsfähigkeit wieder erlangen. 

 

In einer Paarübung bat ich die Teilnehmerinnen darum, sich auf Basis der mit dem eigenen starken Gefühl zu befassen. Eine Teilnehmerin – ich nenne Sie hier Tina kam ziemlich verblüfft aus dieser Übung zurück. Ihre Übungspartnerin Ulla, sei überhaupt nicht wütend gewesen. Sie sei überhaupt nicht laut geworden, sondern verstummt. Einfach verstummt. Und das mache sie wiederum sehr wütend.

Jeder Mensch hat seine persönliche Art, wie er seine Gefühle ausdrückt.

Wut und Ärger werden oftmals lautstark ausgedrückt. Menschen fangen an zu schimpfen, zu motzen, zu nörgeln oder schreien herum. Vielleicht beschimpfen oder bedrohen sie sogar andere. Lassen Dampf ab. Und das ist dann ganz oft hörund spürbar. Und genau dieses Verhalten, macht vielen von uns Angst.

 

Es gibt aber auch Menschen, die dieselben Gefühle leise und still ausleben und sich durch Sprachlosigkeit oder Ohnmacht ausdrücken. Das war genau die Reaktion, die für Ulla spürbar war und die Tina, so völlig aus dem Konzept warf.

 

Interessanterweise teilte uns Ulla in der Reflexion mit, dass dies für sie ihre übliche Reaktion sei, auf starke Gefühle wie Wut oder Ärger. Sie drücke Ihre Wut, ihren Ärger und Zorn auf diese Weise aus. Denn sie

sei ohnmächtig, sprachlos und hilflos.

Wenn wir in Gefahr geraten, kann unser Gehirn drei verschiedene, evolutionäre Reaktionsmuster ziemlich gut und schnell abrufen.

Es gibt reale Gefahren, die tatsächlich lebensbedrohlich sind, z.B. ein tiefer Abgrund bei einer alpinen Wanderung, ein schnell heranfahrendes Auto oder bei mir ist es der dunkle Keller.

 

Und es gibt Gefahren, die nicht lebensbedrohlich sind. Beispielsweise erhältst du ungefragt eine negative Kritik, eine Person macht dir einen Vorwurf oder du bekommst einen verbalen Auslöser gesetzt, der dich erschüttert. Vielleicht wirst du beschimpft.

 

Interessanterweise macht unser Gehrin keinen Unterschied, ob es sich um eine Leben-und-Tod-Situation handelt oder ob du einfach „nur“ verbal verletzt wirst. Dasselbe Schmerzzentrum wird in deinem Gehirn aktiviert und schüttet dieselben Stresshormone aus, wie in einer lebensbedrohlichen Situation. 

 

Deshalb gleichen sich auch unsere Reaktionen in diesen Momenten. In Sekundenschnelle entscheidest du dich entweder zu 

  • zu kämpfen,
  • zu fliehen
  • oder dich Tod zu stellen.

Bei allen drei Reaktionsmustern geht es darum, dein Überleben zu sichern. Hätten wir diese drei Reaktionsmuster nicht, gäbe es uns vermutlich nicht mehr. Denn wir wären entweder schon vor 50.000 Jahren den Säbelzahntigern oder uns selbst zum Opfer gefallen.

Glücklicherweise gibt es auch nicht erst seit gestern, den bewussten Umgang mit bedrohlichen Situationen.

 

Dabei meine ich Situationen, die nicht direkt lebensbedrohlich sind, sondern dich in deiner Persönlichkeit verletzten. Wie schon oben beschrieben kann das sein, dass eine andere Person deine Grenzen überschreitet, Worte verwendet, die für dich schmerzhaft sind, Dinge tut, die für dich schwer auszuhalten sind.

 

Genau hierbei kann die Gewaltfreie Kommunikation wunderbar unterstützen. Denn durch die vier Schritte, gewinnst du Abstand zur Situation und damit zu deinen Emotionen und kannst auf andere, verbindende Weise handeln.

Wenn Menschen in eins der drei oben beschriebenen Verhaltensmuster verfallen, ist das Verhalten wenig beziehungsdienlich.

Der Kampf drückt sich in heftigen Diskussionen, Argumentationen, ja-Aber Diskussionen oder Rechtfertigungen aus. Diese Form der Kommunikation verhindert Verbindung und damit Beziehung auf Augenhöhe. Ebenso wenig dient Flucht auf Dauer dazu, die Beziehung wiederherzustellen. Und den Kopf in den Sand zu stecken und zu warten, bis der Anfall vorüber ist, kann zwar für Ruhe sorgen, gleichzeitig verhindert es nicht den nächsten Ausbruch und auch hier leidet die Beziehung. 

Hilfreich ist dagegen eine  bewusste Haltung, um auf lebensdienliche Weise zu kommunizieren.

In der eingangs beschriebenen Situation von Ulla und Tina ist es so, dass die eine kämpft und die andere in den Tod-stell-Modus verfällt. Auch, wenn diese Reaktionen unbewusst und in sekundenschnelle ablaufen, entscheidet letztendlich jede für sich, was ihre „Lieblingsstrategie“ in einer für sie bedrohlichen Situation ist.

 

Dieses Verhaltensmuster haben sie sich im Laufe ihres Lebens antrainiert. In einem früheren Lebensabschnitt diente es dazu, ihr Überleben zu sichern. Und deshalb nutzen sie bis heute bevorzugt,

diese antrainierte Strategie. Ulla stellt sich tot. Tina kämpft.

 

Vielleicht führt ein solches Verhalten bei dir zu einer Irritation? Und du denkst: „Häää,

wie reagiert die denn jetzt? Ich an Ihrer Stelle würde ausrasten, rumschreien, …. „ Es kann auch genau umgedreht sein und du denkst: „Häaaa, was schreit die denn jetzt herum, ich an ihrer Stelle würde verstummen.“

 

Danke an Tina und Ulla, für diese beispielhafte Situation, über die ich dir zeigen kann, wie dir die Gewaltfreie Kommunikation in solchen Momenten weiterhelfen kann.


Hol dir hier den GFK Spickzettel fürs Büro mit Gefühls- und Bedürfnisliste.



Selbst-Einfühlung – gib dir selbst Empathie.

Bei der Selbst-Einfühlung fühlst du dich in dich selbst ein. Und zwar auf Basis der vier Schritte. Du kannst als Einstieg dein Kopfkino – deine Urteile, Bewertungen oder Interpretationen, die du über dich oder andere hast, nutzen.

 

Bleiben wir beim Beispiel von Ulla und Tina und schauen wir gemeinsam, wie Tina sich dank der vier Schritte in sich selbst und im Anschluss in Ulla einfühlt, um so ihrer Reaktion auf die Spur zu kommen.

Hier noch eine kleine Erinnerung, um was es beiden vier Schritten geht. 

1. Schritt: Die Beobachtung

Du schaust dir die Situation auf Basis von Zahlen, Daten und

Fakten an und trennst sie von deinen Bewertungen, Interpretationen oder Analysen.

 

Deine Bewertungen kannst du als Einstieg in den Selbst-Einfühlungsprozess nutzen. Denn es geht darum, ihnen zuzuhören. Sie dienen als Wegweiser, dass du Einfühlung brauchst. 


2. Schritt: Dein Gefühl

Du schaust, wie es dir geht. Welches Gefühl kannst du spüren?


3. Schritt: Dein Bedürfnis

Welches Bedürfnis ist bei dir gerade erfüllt oder unerfüllt?


4. Schritt: Deine Bitte

 

Welche Bitte hast du an dich oder an die andere Person?

 


Wir schauen Tinas Selbst-Einfühlungsprozess zu. Darin zeigt sie uns, wie so ein Prozess ablaufen kann und warum er nicht gerardlinig verläuft. Wir sprechen in der GFK daher von „Selbst-Einfühlungstanz“.

Los geht’s:

(Kopfkino) "In der Übung eben hat Ulla ganz unterwartet für mich reagiert. Sie hat einfach nichts gesagt, sondern den Kopf in den Sand gesteckt."

 

(Gefühl) "Ich bin total verblüfft, (Bedürfnis) denn ich verstehe diese Reaktion nicht."

 

(Kopfkino) "Ich an Ihrer Stelle wäre ausgeflippt und hätte die anderen richtig zur Schnecke gemacht."

 

(Beobachtung) "Aber Sie hat einfach nichts gesagt, sondern stattdessen mich einfach angeschaut und nichts gesagt."

 

(Gefühl) "Das macht mich so wütend, ..."

 

(Kopfkino) "... denn es bringt doch nix, nix zu sagen. Einfach so still herumzustehen. Die kann doch sagen, was los ist. Aber nein, sie verstummt."

 

(Gefühl) "Das macht mich echt total wütend, …"

 

(Bedürfnis) "... weil ich es einfach nicht verstehe. Und ich ehrlichgesagt überhaupt nicht weiß, wie es ihr geht. Denn ich kann die Reaktion nicht erklären. Mir fehlt die Verbindung zu ihr."

 

(Bitte) "Ich wüsste gerne, wie es ihr geht, wenn sie da so stillsteht und nichts mehr sagt. Vielleicht ist sie ja genauso wütend wie ich? Oder vielleicht ist sie auch überhaupt nicht wütend? Also, ich frage sie jetzt

einfach, wie es ihr geht."

 

Wow, das war ein ganz schönes Hin und Her bei Tina, oder? (Bewertung 😉) Du siehst, sie ist zwischen den Schritten hin und her gesprungen und war bei dem, was gerade spürbar für sie war. Dadurch hat sie ihre Gefühlslage für sich geklärt und ist sich ihrem Bedürfnis bewusst geworden.

Es gibt kein Richtig und kein Falsch – auch nicht bei Gefühlen.

  1. Jede Person ist für ihre eigenen Gefühle verantwortlich.
  2. Jede Person entscheidet über die Strategie, wie sie ihre Gefühle ausdrückt und zeigt.
  3. Es gibt keine richtige oder falsche Strategie um Gefühle – welcher Art auch immer – auszudrücken.
  4. Gefühl sind der Wegweiser zu unseren erfüllten und unerfüllten Bedürfnissen.
  5. Du kannst sicher sein, wenn eine Person wütend wird, ist dies ein Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse.
  6. Wenn eine Person verstummt, ist dies möglicherweise auch ein Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse. Im Falle von Ulla war es sogar ein Ausdruck eines starken Gefühls – auch wenn die Strategie leise war.



Zu erkennen, dass jede Person für ihre Gefühle verantwortlich ist und unterstützt dich dabei, eine verbindende und lebensdienliche Kommunikation zu entwickeln. Auch im Geschäftsleben. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Sprache, die gefühls- und bedürfnisorientiert ist, Arbeitsprozesse effektiver, Teamsitzungen effizienter und schließlich das tägliche Miteinander viel lebendiger gestaltet. Was wiederum Menschen motiviert zur Arbeit gehen lässt und zur Gesundheit beiträgt.

Connection before Action – so nannte es Marshall Rosenberg. Verbinde dich, bevor du handelst.

Verbinde dich zu aller erst mit dir, deinem Gefühl und deinem erfüllten oder unerfüllten Bedürfnis. Und dann verbinde dich mit dem Bedürfnis der anderen Person. Dies ist die Basis gemeinsame Strategien zu entwickeln, die die euer beider Bedürfnis erfüllt.

 

Ich erlebe oft das Gegenteil. Auf eine Reaktion folgt eine Reaktion, die wiederum eine Reaktion erzeugt. Es wird blind und hörig gehandelt, damit alles ruhig und schnell von statten geht. Dass dabei Menschen,

Ideen und Motivation auf der Strecke bleiben, wird viel zu spät bemerkt. Mit den vier Schritten der Gewaltfreien Kommunikation unterbrichst du diesen Automatismus von Reaktion, die wiederum eine weitere

Reaktion nach sich zieht. Du wirst dir deiner selbst bewusst und findest neue Wege des Handelns. Und das kannst du im Übrigen auf jeder Ebene in deinem Unternehmen tun.

Vor allem dann, wenn du dich über deine Führungskraft ärgerst

Wenn du beispielsweise denkst: „Wie hat denn heute meine Führungskraft mit mir gesprochen, die hat sich wohl im Ton vergriffen!“ Dann ist jetzt der Zeitpunkt, dich in dich selbst einzufühlen. Hinzuspüren, dich mit deiner Beobachtung, deinem Gefühl und deinem unerfüllten Bedürfnis zu verbinden. WErde dir bewusst darüber, was du brauchst in solchen Momenten. Und dann gehe los und bitte darum.

 

Vielleicht bist du im Anschluss bereit, dich in deine Führungskraft einzufühlen? Wenn ja – dann erkunde ihr unerfülltes Bedürfnis. Wenn nein – dann erfüllst du dir vermutlich Schutz und Sicherheit. Das ist vollkommen okay. Bleibe bei dir und dem, was du brauchst. 

 

Mit den vier Schritten der Gewaltfreien Kommunikation kannst du dich in dich selbst einfühlen und kommst auf diese Weise deinen Gefühlen und Bedürfnisse auf die Spur. Und du kannst dich in andere Menschen einfühlen und bringst auf diese Weise deren Gefühle und Bedürfnisse zu Tage. Wenn du dazu bereit bist.

 

Die vier Schritte helfen dir auch dann, wenn die Gefühle stärker sind. Wenn heftige Emotionen wie Wut, Ärger oder Zorn aus uns herausbrechen. Oder eben auch dann, wenn es Menschen gibt wie Ulla, die so überwältigt sind von ihren Emotionen, dass sie lieber verstummen.



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